Wir hatten uns entschieden, für 10 Tage der Hitze in Curacao zu entfliehen und buchten einen Flug nach Medellin, was ja praktisch um die Ecke liegt und wo wir wahrscheinlich nicht mehr hinkommen würden, wenn wir die Gelegenheit jetzt nicht nutzten.
Also bereiteten wir Jobber auf unsere Abreise vor und fuhren morgens mit dem Taxi zum Flughafen. Vom Taxifahrer bekamen wir noch wertvolle Tipps für Kolumbien, er kannte sich aus, denn er war viele Male mit seiner Frau auf Shoppingtour in Medellin. Wir erfuhren also, wo man am besten Geld tauscht (auf gar keinen Fall in Bogota, wo wir einen Zwischenstopp hatten, weil viiiiel zu teuer), wo man lokale SIM-Karten bekommt (nicht am Flughafen, weil viiiiel zu teuer) und wie man am günstigsten vom Flughafen in die Stadt kommt (nicht mit dem Taxi, weil zu teuer, sondern mit dem Bus), also gut, wir waren jetzt optimal vorbereitet.
Wir hatten beide nur Handgepäck dabei, also alles easy. Der Flug von Bogota nach Medellin wurde gecancelt, wir bekamen einen späteren mit Upgrade in die Premium Area … auch nicht so schlimm. In Medellin wechselten wir Dollar in kolumbianische Pesos (1 Dollar – 4200 Pesos) und stellten uns, wie empfohlen, in die Schlange zum Bus in die Stadt. Dann kam allerdings ein Taxifahrer und überredete uns und noch zwei weitere Fahrgäste mit ihm zum gleichen Preis in die Stadt zu fahren. Wir willigten ein und fuhren etwa eine halbe Stunde durch einen Wahnsinnsverkehr mit viel Gehupe in die Stadt runter, sehr knapp vorbei an Autowerkstätten, die praktisch auf der Straße reparieren und lackieren. Nach ein wenig hin und her brachte der Taxifahrer uns noch für einen geringen Aufpreis zu unserem Appartement. Unser kleines Zuhause für 10 Tage war ganz o.k. für den Preis von 26 € pro Nacht. Es gab einen kleinen Supermarkt um die Ecke, bei dem wir erstmal ein paar Getränke, Klopapier und Zewa rollen und Spüli kauften. Später kamen noch ein paar Küchenutensilien dazu, die nicht vorhanden waren … scharfes Messer, Schere, Flaschenöffner.
Was uns ein bisschen stutzig machte, waren die doppelten Türen zum Treppenhaus, die jeweils mehrfach verschlossen wurden und eine Überwachungskamera auf der Straße vorm Haus, die praktisch in unser Fenster zielte. War es hier etwa irgendwie unsicher?
Wir genossen die kühle Nacht in Medellin (Medellin 17 Grad – Curacao 27 Grad mit Klimaanlage) und starteten am nächsten Morgen zur Metro, zunächst mal in die komplett falsche Richtung. Unterwegs sahen einige Leute in einer Art Uniform in Müllbergen am Straßenrand wühlen. Später erfuhren wir, dass der Müll, der unsortiert in Müllsäcken an die Straße gestellt wird, von städtischem Personal auf der Straße sortiert und abtransportiert wird (wer in Deutschland würde diesen Job machen wollen?) oder von Obdachlosen sortiert und weiterverkauft wird, die so irgendwie über Wasser halten. Wir gelangten am Ende doch zur Metro, wo wir eine aufladbare Karte kauften, die für Metro, Tram, Busse und Seilbahnen gilt und feststellten, dass es sehr günstig ist, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Man kann für etwa einen Euro quer durch die Stadt fahren.
Der Betrieb in der Innenstadt erschlug uns zunächst mal, es war unglaublich laut und wuselig, Autos, Mopeds, Straßenhändler mit Lautsprechern, die non-stop ihre Waren anpriesen, Bettler, die Bonbons verkaufen, Menschen, die auf dem Gehsteig schlafen und 1001 Ramschladen mit Dingen, die keiner braucht (Klick hier für ein Video). Wir gingen erstmal frühstücken und stellten fest, dass die Kultur hier auch eine andere war. Es gab Frittiertes, Frittiertes oder Frittiertes … Empanadas in allen Varianten und was immer man in große, mit Fett gefüllte Behälter werfen kann. Etwas gestresst von den ganzen Eindrücken, versuchten wir einen Laden zu finden, in dem wir eine SIM-Karte für unseren mobilen Router kaufen konnten. Im zweiten Laden klappte es, ein großer Mobilfunkanbieter mit sicher 50 Angestellten und nicht einer sprach auch nur ein paar Worte Englisch. Dank der Google-Übersetzerfunktion hatten wir irgendwann tatsächlich eine funktionierende SIM-Karte mit 18 GB für 40 000 Pesos (etwa 10 €).
Wir fuhren noch ein bisschen mit der Tram und einer Seilbahn durch die Stadt, um ein paar Eindrücke zu sammeln. Medellin liegt auf etwa 1500 m, hat etwa 4,5 Millionen Einwohner, ist ein Kessel, ähnlich wie Stuttgart, nur viel größer und außen an den Berghängen befinden sich die Favelas, die zusammengezimmerten Behausungen der ärmeren Bevölkerung. Die Favelas sind über mehrere Seilbahnen ans Zentrum von Medellin angebunden, was den ärmeren Leuten ermöglicht, für wenig Geld in die Innenstadt zu gelangen. Ziemlich erschlagen von all den Eindrücken gingen wir abends in der Nähe unseres Appartements noch etwas essen … wieder mal irgendetwas Frittiertes … auch schon egal … und ab ins Bett.
Tag 2 verbrachten wir in Poblado, dem angesagten Viertel in Medellin mit Hochhäusern und Glasfassaden, wo die besser betuchten Leute leben und arbeiten. Wir besuchten das Museum of Modern Art, das sehr eindrücklich war und ein riesiges Einkaufszentrum, das alle Dimensionen sprengte. Etwas ähnliches hatten wir bisher nur in Kuala Lumpur gesehen und Thomas, der ja so gern shoppen geht, wollte irgendwann nur noch raus.
Auf dem Weg vom Einkaufszentrum zur Metro löste sich bei Thomas Sneaker die Sohle ab und wir klebten sie notdürftig mit Sekundenkleber, den wir zufällig dabeihatten, wieder an. Da Männer ja angeblich nicht so viele Schuhe brauchen, hatte er nur ein Paar dabei, so dass am nächsten Tag erstmal Schuhe kaufen auf dem Programm stand. Die Metro auf dem Rückweg war so voll, dass man nur noch mit Drücken und Schieben irgendwie rein kam … kein schönes Gefühl bei der Wärme so auf Tuchfühlung gehen zu müssen. An unserer Station „Floresta“ angekommen, erwischten wir den falschen Ausgang, gingen unseren routinierten Weg Links-rechts-links (kein Problem, wir kennen uns ja schon aus) zum Appartement, landeten komplett woanders und brauchten eine ganze Weile, um wieder nach „Hause“ zu finden. Gut, dass wir den Stadtplan (Medellin ist in nummerierte Blocks eingeteilt, ähnlich wie Manhattan) offline heruntergeladen hatten.
Tag 3 verbrachten wir in unserem Appartement, denn Thomas hatte sich eine dicke Erkältung mit Fieber eingefangen … die Nächte waren wohl doch zu kühl. Jutta besorgte Medikamente, Frühstück, frischgepressten O-saft und abends eine Pizza.
An Tag 4 ließen wir es ein bisschen ruhiger angehen, da Thomas noch nicht ganz fit war. Nachdem wir bei einem Straßenhändler ein Paar neue Sportschuhe für ihn (ein Plagiat made in Columbia) gekauft hatten, ging es mit der Metro nach Norden, dann eine Seilbahn rauf nach San Domingo, wo ein quirliger Knotenpunkt zu einer zweiten Seilbahn liegt. Hier schauten wir uns ganz fasziniert den chaotischen Verkehr an. Hier treffen Busse, Autos und Mopeds aufeinander, hier fährt man völlig selbstverständlich falsch herum durch Einbahnstraßen und transportiert 65 Zoll Bildschirme auf Mopeds, für unsere Vorstellung schon abenteuerlich. Wir fuhren noch mit der 2. Seilbahn über eine bewaldete Hochebene bis zu einer Art Rummelplatz mit lauter Musik und rauchenden Grills, der sonntags sehr voll zu sein schien und entschlossen uns kurzerhand sitzen zu bleiben und wieder zurückzufahren. Der Versuch, den botanischen Garten auf dem Rückweg zu besuchen, scheiterte ebenfalls an den Schlangen am Eingang.
Tag 5 verbrachten wir im Süden, einem Stadtteil, der sich Sabaneta nennt. Wir wunderten uns ein bisschen über die geschlossenen Geschäfte und vielen Einheimischen in den Parks, bis uns aufging, dass Feiertag war (Mariä Himmelfahrt). Also stürzten wir uns ins bunte Treiben, kauften uns eine Dose Bier und setzten uns in einen Park. Später gingen wir kolumbianisch Essen, was bedeutet, viel unterschiedliches Fleisch, Reis, meistens Bohnen und immer Arepas (Maisfladen, die für unser Empfinden nach nichts schmecken). Also insgesamt ist das durchschnittliche kolumbianische Essen eher „geht so“. Wir saßen an einem Tisch im Außenbereich und als wir aufgegessen hatten, kam ein Bettler und fragte nach den Resten (es gab noch Reis und Arepas). Er hielt eine Plastiktüte auf und wir schaufelten das Essen in die Tüte, was immer dort so zusammenkam. Es ist üblich, dass man sich Reste einpacken lässt und an Bettler auf der Straße verschenkt. Eigentlich besser als Lebensmittel wegzuwerfen, aber auch traurig, dass es Menschen gibt, die darauf angewiesen sind.
Als wir morgens zur Metro gingen, sahen wir einen Flötenspieler, der einen Verstärker um den Hals hängen hatte und immer, wenn die Ampel auf Rot ging, auf die Kreuzung sprang, anfing zu spielen und bevor die Ampel auf Grün sprang, versuchte Geld einzusammeln … meistens ohne Erfolg. Abends war der Flötenspieler immer noch da. Das gleiche Konzept hatte ein paar Tage später eine junge Frau, die einen Schirm auf dem Kopf balancierte und mit Keulen jonglierte … wie verzweifelt muss man sein?
An Tag 6 hatten wir eine 3-stündige Führung durch die Innenstadt gebucht, offiziell kostenlos, aber es wird empfohlen ein Trinkgeld von etwa 50 000 Pesos pro Person zu geben, etwa 12 €. Unsere Tour, 5 Personen, mit Daniele, der sehr gut Englisch sprach, war sehr informativ, wir konnten Fragen stellen und erfuhren viel über Kolumbiens Geschichte, Gegenwartskultur und das tägliche Leben der Kolumbianer. Interessant waren die Hintergrundinfos zur Metro … sie existiert seit etwa 20 Jahren und hat das Zusammenleben der Menschen nachhaltig geprägt, weil das gute Benehmen, das in der Metro gefordert wurde, auf die Straße abfärbte. Wir haben es mehrfach erlebt, dass junge Leute für Ältere aufstehen und einen Platz anbieten, die Wagons sind sehr sauber, die Stationen nicht mit Graffitis besprüht und an den Bahnsteigen sieht man immer jemanden putzen. Auch interessant: die Kaffeeproduktion ist auf ein Minimum zurückgegangen (Brasilien exportiert viel mehr Kaffee), aber Kokain hat aktuell einen Höchststand. Ein anderes, immer noch präsentes Thema ist Pablo Escobar, der bekannte Drogenboss aus Medellin. Daniele erzählte uns, dass seine Mutter, wie viele Kolumbianer, für die „Pablito“ mit seinem unvorstellbaren Reichtum Häuser bauen ließ, ihn immer noch verehrt. Kratzer bekam diese Verehrung durch die vielen Zivilisten, die durch Pablos Anschläge (80% unschuldige Zivilisten) ums Leben kamen. Ein Beispiel konnten wir uns ansehen, eine Metallskulptur von Fernando Botero, in die eine Bombe platziert worden war, zwei Jahre nach Pablos Tod, Ergebnis: 28 Tote.
Die ganzen Eindrücke mussten wir erstmal verarbeiten, kehrten in unser Appartement zurück, vorbei an einem Viertel, in dem Holz und Plattenmaterial auf der Straße verkauft wurde. Alle paar Meter stand eine kleine Kreissäge … Sicherheitsvorkehrungen – Fehlanzeige.
Abends gingen wir in der Innenstadt essen und anschließend durch einen kleinen Park in Richtung Metro. Im Park gab es einige interessante Gestalten, die dort offensichtlich übernachteten und sich und ihre Kleidung im Springbrunnenteich wuschen. Der Rückweg zur Metro führte uns durch ein Viertel, in dem man sich als Weißer im Dunkeln wohl besser nicht aufhält. Das machte uns ziemlich nervös, Thomas sagte: „Bleib dicht bei mir … wir sind gleich da.“ Alles ging gut, aber wir waren doch sehr froh, die Metro erreicht zu haben, denn dort waren wir sicher.
An Tag 7 schauten wir uns den Friedhof San Pedro an, der gleichzeitig ein Museum ist. Die Friedhofskultur in Kolumbien unterscheidet sich doch sehr von unserer Deutschen. Särge und Urnen werden in Wände eingemauert und mit Fotos der Verstorbenen verziert, gerne auch im Bikini, etwas seltsam für unsere Begriffe und seltsam auch die sehr vielen Gräber noch sehr junger Menschen zwischen 16 und Mitte 20.
Wir nahmen einen zweiten Anlauf zum Botanischen Garten, der unter der Woche sehr leer war. Wir waren nicht sehr beeindruckt und stellten fest, dass die ganz normale Vegetation, die wir auf den karibischen Inseln gesehen hatten, vielfältiger und üppiger war als jeder botanische Garten.
Tag 8 verbrachten wir vormittags mit Papierkram (Flüge bestätigen, Taxi zum Flughafen … ) und nachmittags hatten wir eine Führung durch die Comuna 13 gebucht, eine Farvela, die bis vor einiger Zeit noch Hotspot der Drogenszene war und sich zu einem friedlichen Touristenmagneten mit Künstlerszene gemausert hat. Die Comuna war bunt, wild und chaotisch, genau wie unsere Truppe aus einer Texanerin, einem Schweden, einem Australier, einem jungen deutschen Paar (aus Münster!) und einem Paar aus Russland, das jetzt in Panama lebt, also ganz schön Multi – Kulti. Wir bekamen eine Führung durch eine Kaffeerösterei, eine Breakdance-vorführung (Klick hier für ein Video) und ein Bier auf einer Dachterrasse mit traumhaftem Blick über die Favela.
Abends trafen wir uns noch mit unseren Schweizer Nachbarn aus Curacao, Irene und Peter, die zufällig auch in Medellin waren, in einem tollen Restaurant zu einem sehr schönen Abend.
An Tag 9 fuhren wir noch einmal zur Comuna 13, um in Ruhe in unserem Tempo durchzulaufen. Wir wollten eigentlich noch ein Souvenir aus Kolumbien kaufen, was sich schwierig gestaltete, weil es fast nur „Touri-ramsch“ gab … für die Graffiti-Jeansjacken fühlten wir uns dann doch zu alt. Außer einem kleinen Perlenarmband ließ sich nichts finden. Wir kauften noch ein Schale Obst am Straßenrand (das einzige halbwegs Gesunde der kolumbianischen Küche), eine für uns und eine für zwei Jungs, die uns darum baten … die Armut ist schon allgegenwärtig. Abends hieß es Packen, denn am nächsten Morgen ging es früh los zum Flughafen.
Nachdem der Schlüssel des Appartements abgegeben war und wir dem Vermieter erklärten, dass es schön wäre, einen Spiegel im Bad zu haben (es gab im ganzen Appartement keinen), stellten wir fest, dass die Taxi-App nicht funktionierte, und liefen zur Metrostation, wo wir ein Taxi fanden.
Am Flughafen in Curacao trafen wir uns mit Jan Peter, von dem wir ein Auto gemietet hatten und stellten fest, dass der günstige Preis wohl einen Grund hat: die Klimaanlage funktionierte nicht, was in Curacao nicht so witzig ist. Na ja, wir gingen Einkaufen, brachten uns eine Pizza mit und versuchten, uns irgendwie wieder an die Hitze zu gewöhnen … im Boot waren es 36 Grad … die Hitze hatte uns wieder fest im Griff.
Alles in allem war es ein spannender Ausflug nach Kolumbien und in die südamerikanische Kultur, ein interessanter Einblick in Land und sehr freundliche Leute … ein Einblick, der so manches unserer typisch deutschen Probleme in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Jetzt sind es auch nur noch wenige Tage bis zu unserer Abreise nach Deutschland und die To-do-Liste wartet auf uns.
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Ocki (Mittwoch, 25 September 2024 17:12)
Warum gibt es hier bei einer so interessanten Geschichte keine Kommentare?! ;-)
Der vorletzte Satz ist ein wesentlicher, den sich viele in unserem verwöhnten Land hinter die Ohren schreiben dürften…